Im Folgenden stellen wir einen von mehreren Plagiatsfällen der letzten Zeit aus dem o:T vor. Er ist typisch für eine bestimmte Form des Plagiats, bei der oft auch nach der Aufdeckung bestritten wird, bewusst plagiiert zu haben. Es lässt sich aber relativ leicht nachweisen, dass es sich zumindest um eine Täuschung hinsichtlich des Urhebers der im Text vermittelten Überlegungen handelt, wie auch in diesem Fall.
Im Folgenden zunächst ein Textvergleich zwischen Original und Plagiat, sodann eine Erläuterung der einzelnen Absätze:
Original | Plagiat |
[unmittelbar nach einer Überschrift] Auf grundsätzlichen Überlegungen von Talcott Parsons aufbauend hat Seymour Martin Lipset (1959) den locus classicus der modernisierungstheoretisch orientierten Demokratieforschung formuliert und die fundamentale Erfolgsbedingung der Demokratisierung benannt:?The more well-to-do a nation, the greater the chances that it will sustain democracy. From Aristotle down to the present, men have argued that only in a wealthy society in which relatively few citizens lived at the level of real poverty could there be a situation in which the mass of the population intelligently participate in politics and develop the self-restraint necessary to avoid succumbing to the appeals of irresponsible demagogues? (Lipset 1981: 31). Die wichtigste Erfolgsbedingung gelungener Demokratisierung heißt also wirtschaftliche Entwicklung und Überwindung von Not und Armut. |
[…; kein Absatz] Seymour Martin Lipset, der sich auf die Theoreme von Talkott [sic!] Parsons stützt, die modernisierungstheoretisch einzustufen sind, hat die zentrale Erfolgsbedingung für die Demokratisierung benannt:?The more well-to-do a nation, the greater the chances that it will sustain democracy. From Aristotle down to the present, men have argued that only in a wealthy society in which relatively few citizens lived at the level of real poverty could there be a situation in which the mass of the population intelligently participate in politics and develop the self-restraint necessary to avoid succumbing to the appeals of irresponsible demagogues? (Lipset 1981, S. 31).
Demnach können wir entnehmen, [sic!] dass die zentrale Erfolgsbedingung für die Demokratisierung eine [sic!] wirtschaftliche Entwicklung und die [sic!]Überwindung |
Aus: Merkel, Wolfgang: Systemtransformation: Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden 2009, S. 70. |
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Weshalb handelt es sich hierbei um ein Plagiat? Sehen wir uns einmal den Textverlauf an.
- Im ersten Absatz wird die Vorlage lediglich leicht umformuliert und umgestellt, alle wichtigen Vokabeln stimmen aber überein oder sind nur leicht abgewandelt. Die hierin formulierte Hypothese über die Bedeutung der Einschätzung Lipsets stammt – wenn auch als solche vermutlich nicht strittig – von Wolfgang Merkel, auch der Hinweis auf die Verbindung zwischen Parsons und Lipset. Dieser Zusammenhang wird im Plagiat aber nicht nachgewiesen, die Hypothese somit als eigene ausgegeben. Eine Quellenangabe fehlt. Sodann wird ebenso wie in der Vorlage zum Zitat übergeleitet. Gedankliche Eigenleistung: null.
- Im zweiten Absatz wird exakt dasselbe Zitat wie in der Vorlage wiedergegeben – was konsequent ist, denn das zuvor Geäußerte bezieht sich ja darauf. Auch hier wird nicht auf die Vorlage verwiesen, aus dem dies ja übernommen wurde – auch wenn möglicherweise die Originalquelle konsultiert wurde. Die unkommentierte Übernahme eines wörtlichen Zitats (praktisch das Zitat eines Zitats) aus einer Vorlage wiegt besonders schwer, weil damit ja sogar Quellenrecherche und -auswertung eingespart werden. Gedankliche Eigenleistung: null.
- Der dritte Absatz umfasst eine Schlussfolgerung aus dem Zitat, signalisiert durch das Wörtchen ?also?. Es handelt sich dabei wohlgemerkt um die Schlussfolgerung Wolfgang Merkels. Der Plagiator übernimmt dies wiederum, gibt es aber als eigene Schlussfolgerung aus. Das ?also? wurde dabei geändert in ein ?demnach?, was dokumentiert, dass hier bewusst vorgegangen wurde. Der Satz ist wiederum nur leicht abgewandelt. Zwar wird nun eine Quelle genannt, eine genaue Zuweisung des Geäußerten unterbleibt aber. Zudem müsste an dieser Stelle indirekte Rede verwendet werden, um zu kennzeichnen, dass die Hypothese lediglich referiert wird. So oder so bleibt die gedankliche Eigenleistung auch hier gleich null. Auffällig ist hierbei, wie sehr die Vorlage durch die Umformung verschlechtert wird – das Lektorat würde an einer solchen Stelle tätig werden und für Besserung sorgen, womit es in den Dienst einer weiteren Verschleierung des Plagiats gestellt würde.
Insgesamt handelt es sich hierbei schon deswegen zweifelsfrei um ein Plagiat, weil hier ein kompletter Gedankengang (inklusive Hypothese, Beleg und Schlussfolgerung) ohne adäquaten Nachweis in exakt derselben Strukturierung wiedergegeben wird. Eine eigene Leistung ist nicht zu erkennen. Auch der vorhandene Quellenbeleg hat an dieser Stelle keine Funktion mehr. Er hätte auch keine, wenn eine deutlichere Zuweisung stattfände, denn dann würde die weitgehend unveränderte Übernahme fremden Gedankenguts nur umso deutlicher. Keinesfalls kann man die Quellenangabe auf den ganzen Abschnitt beziehen – weder formal noch inhaltlich. Denn die Quelle wird ja zwischendrin gewechselt, so erscheint es zumindest dem Leser – offenbar nicht dem Plagiator, der ja tatsächlich die ganze Zeit dieselbe Quelle nutzt, was ihn zusätzlich entlarvt.
Falls immer noch jemand nicht überzeugt sein sollte, dass es sich hierbei um ein lupenreines Plagiat handelt, lässt sich die vom GuttenPlag Wiki erstellte sehr hilfreiche Kategorisierung von Plagiaten anführen, die man bei eigenen Befürchtungen zu Rate ziehen kann. Demnach handelt es sich hierbei um eine Kombination aus den Typen
- Verschleierung (wegen der Umformulierung übernommener, aber nicht als solcher gekennzeichneter Passagen)
- Strukturplagiat (wegen der Übernahme eines kompletten Gedankenganges)
- Kopiertes Zitat (wegen der Übernahme eines wörtlichen Zitats aus der Vorlage)
- ?Bauernopfer? (damit ist der Umstand gemeint, dass zwar eine Quelle genannt, diese aber nicht als Ursprung der ganzen Argumentation gekennzeichnet wird)
Ein Plagiat wie dieser – eher etwas unbeholfene – Fall wird von einem Plagiatrobot aufgrund der Häufung typischer Begriffe und natürlich aufgrund des identischen Zitats mit relativ hoher Sicherheit entdeckt. Auch wir haben es gefunden, obwohl wir solche Instrumente nicht einsetzen – allerdings wohl nur deshalb, weil es auch zuvor im Text schon etliche Verdachtsmomente gab. Es ist typisch für solche Arbeiten, dass sich die Probleme (auch andersartige) darin häufen – Plagiate sind unserer Erfahrung nach immer Ausdruck einer mehr oder weniger gravierenden Problemlage. Wer weiß, was er in einer solchen Arbeit vorhat, und wer dabei nicht in allzu großen Zeitstress gerät, kommt gar nicht auf die Idee zu plagiieren.
Insofern möchten wir Sie, liebe Kundinnen und Kunden, auffordern, uns Ihre Befürchtungen offen mitzuteilen, damit wir rechtzeitig Abhilfe schaffen können – nicht erst an einer solchen Stelle, die zum Abbruch des Lektorats führt. Bitte konsultieren Sie zu diesem Thema auch die folgenden Links mit weiterführenden Hinweisen und unser Forum oder hinterlassen Sie einen Kommentar.